Blog von Thomas Harneit

Eine Scheidung kann den Job kosten

Geschrieben von Thomas Harneit | 18.08.2022

Arbeitssicherheit und Beziehungsstress gehen häufig Hand in Hand

Ein Gastbeitrag von Dr. Ralf Friedrich

Beziehungsthemen nur bedingt „einfach abschaltbar“. Doch zumeist nehmen die Beteiligten sie mit aus dem Haus, zum Sport, zur Arbeit oder zum Besuch bei den Eltern. Je nachdem, welchen Ursprungs die Probleme sind, welche Konsequenzen mit ihnen einhergehen und wie stressanfällig eine Person ist, können diese Themen erheblichen Einfluss auf das Leben außerhalb der Beziehung nehmen; so eben auch auf den Berufsalltag. – Wir haben einen Fall miterlebt, in dem ein Bauingenieur aufgrund seiner Eheprobleme die Sicherheit und Gesundheit seiner Kollegen gefährdete.

Ludwig* (Name geändert) ist 42 Jahre alt und seit 12 Jahren mit Sabine (41) verheiratet. Sie leben in Süddeutschland, sind berufstätig und haben einen Sohn (15). Das Haus ist finanziert, der Garten gepflegt, die Autos modern. Ihre Familien verstehen sich wunderbar, der Freundeskreis ist stabil und jeder geht seinen Hobbies nach, sofern Ludwig und Sabine nichts gemeinsames unternehmen. Nach außen ein angenehmes Miteinander ohne negative Besonderheiten. (Allerdings würden wir auf diesem Blog nicht darüber berichten, sofern es nicht doch ein Thema gebe, das die Paarbeziehung betrifft.)

Als Bauleiter und Sicherheitskoordinator betreut Ludwig deutschlandweit Baustellen für verschiedene Unternehmen. Sein Job bringt es mit sich, dass die Summe seiner Reisetage im Jahr die 100 deutlich überschreitet. Was ihn in seiner Tätigkeit auszeichnet, sind vor allem drei Punkte: Ludwig ist pünktlich, überdurchschnittlich genau und weitsichtig. Uns sind kaum Momente bekannt, in denen er seine Arbeit nachbessern musste, bis zum Sommer des vorletzten Jahres.

Trennungsstress und Arbeitssicherheit

Als Ludwig montags zu spät auf der Baustelle erschien, ließen sich viele der Kollegen zu Witzen hinreißen: „Wenn der zu spät kommt, steht wahrscheinlich die Autobahn in Flammen!“ oder „Der F. ist unpünktlich? Das kann nur heißen, alle Uhren sind stehengeblieben oder er wurde von Aliens gegen einen Klon ausgetauscht!“ Am selben Tag leitete er die Baubesprechung unvorbereitet und wirkte fahrig. Auf Nachfragen, was los sei, antwortete er mit einem freundlichen: „Nichts weiter. heute ist‘s irgendwie komisch. Passt schon!“

Leider besserten sich weder sein Zustand noch seine Arbeitsweise. Einige Wochen nach dem ersten Vorfall, Ludwig hatte inzwischen gehäuft Probleme, Termine einzuhalten, führte er die Arbeitssicherheitsunterweisung und vergaß, Kollegen aus dem Ausland gesondert einzuweisen: mit fatalen Folgen. Einer der Männer stürzte wenig später in einem ungesicherten Bereich in eine Baugrube und verletzte sich leicht. An sich kein Problem, nur mussten jetzt Auftraggeber, Versicherer und Berufsgenossenschaften informiert werden, die für die Abwicklung des Falls entsprechende Fragen stellten. Eine davon lautete: „Wurden die Kollegen vorschriftsmäßig und entsprechend der Vorgabe in einer ihnen verständlichen Sprache unterwiesen?“ – Nein. 

Trennungsstress ist schlecht für die Karriere

Auf formeller Ebene klärten alle Beteiligten die Situation. Der in den Unfall verwickelte Kollege gesundete schnell. Allerdings wirkte der Fehler, den Ludwig beging, bei allen anderen Mitarbeitern auf der Baustelle nach. Sie wurden vorsichtig, was seine Arbeit anging; das gelegentliche Tuscheln mündete in offenen Fragen zu Ludwigs Situation. Auch der Auftraggeber war nur noch bedingt bereit, Ludwigs Fehlleistungen zu akzeptieren, weshalb sie ihm ein Ultimatum stellten: Entweder er findet bis zur Folgewoche zu seiner alten Form zurück oder der Auftrag werde anderweitig vergeben. 

Zu gern möchte ich Ihnen sagen, dass die Geschichte zu diesem Zeitpunkt eine positive Wendung nahm. Doch dem war nicht so. Ludwig verlor den Auftrag. Im Rahmen seiner letzten Arbeitswoche nutzte ich die Möglichkeit, mit ihm im privaten Umfeld zu sprechen. 

Trennungsschmerz bei Ludwig – die Hintergründe 

Sabine hat über Jahre unterstützt, dass ihr Mann für seine Arbeit auf Montage ist. Das ermöglichte ihnen als Familie nicht nur ein besonders angenehmes Auskommen. Als Paar konnten sie sich regelmäßig aufeinander freuen und zugleich individuell wachsen. Doch seitdem ihr gemeinsamer Sohn ein Alter erreicht hatte, ab dem er vieles ohne seine Eltern unternimmt, fühlte sich Sabine über die Woche, besonders an den Abenden, allein. 

Obwohl sie ihren Hobbys nachging, Freunde traf und täglich mit ihrem Mann telefonierte, fehlte ihr die gemeinsame Zeit. Irgendwann, so erzählte uns Ludwig, begann sie, über ihre Gefühle zu sprechen. Allerdings ignorierte er dies bzw. tat es als „Phase“ ab. Für ihn war unverständlich, dass ein Beziehungssystem, das über Jahre funktionierte, auf einmal nicht mehr seinen Zweck erfüllte. Diesen Zustand nahm Sabine über ein Jahr hin, bis sie sich auf einer Online-Plattform anmeldete und dort einen anderen Mann kennenlernte.  

Vermutlich führte eine anfängliche Affäre zu Gefühlen, die schlussendlich in Sabines Entscheidung mündeten, sich von Ludwig zu trennen. Der Montag, an dem Ludwig das erste Mal zu spät auf der Baustelle erschien, war jener nach dem Wochenende, an dem ihm seine Frau ihren Entschluss offenbarte. 

Trennungsschmerz vermeiden – Was beide hätten tun können

Trennungen jeder Art sind ein emotionaler Prozess. Sie können positiv verlaufen, weil sie mit gewonnener Freiheit einhergehen oder schmerzlich, da etwas entzweit wird, das nicht hätte zerreißen sollen. Die Arbeit am Miteinander im Vorfeld ist wichtig und hilft zugleich nicht immer, eine Beziehung zu erhalten. Wenn Paare während Ihrer Partnerschaft, aus welchen Gründen auch immer, nicht aktiv daran gearbeitet haben, sich miteinander zu entwickeln, heißt es nicht, dass dies nicht auch mit der Trennung passieren kann. 

Eine Trennung in Freundschaft ist ein begleiteter Prozess, der Trennungsschmerz maßgeblich lindern kann, um diese extreme Phase der Veränderung bestmöglich durchzustehen. Als wir uns mit Ludwig unterhielten, erzählte er davon, dass er mit seiner Frau eine Mediation wahrnahm. Während er daran glaubte, sich wieder mit ihr zu versöhnen, verfolgte Sabine andere Ziele. Einvernehmlich war jedoch, dass sie nicht im Rosenkrieg aus ihrer Beziehung gehen möchten; füreinander und für ihren Sohn. 

Die Nachwirkungen der Mediation

Im Rahmen anderer Projekte zur Arbeitssicherheit auf Baustellen traf ich Ludwig wieder. Wir sprachen über die vergangenen Monate und das Geschehene. Tatsächlich sind er und Sabine wieder zusammen. Sie hatten sich im Laufe mehrerer Sitzungen mit einem Mediator über ihre Gefühle zueinander und die persönlichen Ziele für ihre Beziehung ausgetauscht. Ludwig musste erkennen, dass seine Frau einen Partner braucht, der sie auffängt, während die Aufgabe, sich um ihren Sohn zu kümmern, mehr und mehr entfällt. 

Gleichsam hat Sabine erkennen müssen, dass Ludwig Probleme damit hat, lokal gebunden zu sein. Für ihn bedeuten die Montageaufträge, eine gewisse Form von Freiheit zu leben. Sie kamen unter anderem zu der Einigung, dass Ludwig sich vornehmlich um Projekte in seiner Wohnumgebung bemüht, um häufiger daheim zu sein. (Ich möchte an dieser Stelle nicht auf weitere Details eingehen. Die getroffenen Vereinbarungen verlieren sich ansonsten in Details.)

Seitdem Ludwig emotional ausgeglichen ist, kann er seine Tätigkeit erneut so ausüben, wie er es von sich erwartet und die Auftraggeber es von ihm gewohnt sind. Dennoch bleibt ihm die Möglichkeit verschlossen, bei eben jenem Unternehmen erneut Fuß zu fassen, unter deren Auftrag der damalige Unfall geschah. 

Nachwort

Als Thomas und ich uns über das Thema „Auswirkungen von Trennungsschmerz“ austauschten, kamen wir sehr schnell auf den augenscheinlich nicht vorhandenen Zusammenhang zwischen „Trennung in Freundschaft“ und „Arbeitssicherheit auf Großbaustellen“ zu sprechen. Die mit dem Trennungsschmerz einhergehende Stresssituation (inkl. aller Folgen wie fehlender Konzentration, Aufgewühltheit etc.) sind Gefahrenpotenziale, die bedacht werden müssen. Die Fehlerquelle „Mensch“ ist innerhalb der Arbeitssicherheit das am ehesten sowie am häufigsten zu bedenkende Risiko. Daher sind nicht nur Fehlverhalten zu kalkulieren und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, sondern auch vorangehende Aspekte wie psychische Belastungen zu bedenken. 

Sprechen Sie hierzu gern mit dem Coach Ihres Vertrauens oder wenden Sie sich für Themen der Arbeitssicherheit an die Experten der RECIS GmbH